Aus gegebenem Anlass geschrieben

Bezugnehmend auf zwei Artikel in der Augsburger Allgemeinen vom 18. Juni 2021 und vom 19.Juni 2021 zu dem Thema: Pflegende Angehörige die straffällig geworden sind.„Dementen verhungern lassen“ Das Gericht beauftragt einen Sachverständigen ein Gutachten über die Schuldfähigkeit der Frau zu erstellen.„92 Jähriger tötet seine Frau“ Das Gericht entscheidet: zwei Jahre Haft auf Bewährung.
Ca. 70 % der Menschen, die der Pflege bedürfen, werden zuhause und meistens unter der Verantwortung und dem persönlichem Einsatz Angehöriger gepflegt.Sind es die ambulanten Dienste und/oder sind es die Ärzte die den pflegenden Angehörigen Aufklärung schuldig sind – oder wer ?? Wie weit geht deren Verantwortung?
Ich denke in erster Linie an die Notwendigkeit einer realistischen Schilderung dessen ,was auf die Menschen,die bereit sind ihre Angehörigen zu pflegen selbst zukommen wird, bzw. zukommen kann an körperlichen und psychischen Belastungen und auf das Angewiesensein sozialer Kontakte. Geld spielt auch eine wesentliche Rolle.
Wer füllt die Wissenslücken der Pflegenden bezüglich der Befindlichkeit und des Umgangs mit dem Angehörigen? Sei es z.B.bei zunehmender Demenz, bei Multipler Sklerose und weiteren körperlichen und geistigen Einschränkungen oder bei nicht nachvollziehbaren Veränderungen im persönlichen Kontaktverhalten ………….?Pflegende übernehmen die persönliche Pflege, vorwiegend aufgrund ihrer Beziehung zu diesem Menschen.
Leider ist es auch häufig aus Scham und Angst vor der Meinung der Öffentlichkeit, man schiebe seinen Angehörigen ab. Womit sich Pflegende Angehörige beschäftigen klingt oft wie folgt:Mein Angehöriger fürchtet abgeschoben zu werden. Wie soll ich finanziell leisten was auf mich bei häuslicher Pflege oder in einer Einrichtung zukommt? „Ich bin hilflos..! Ich bin überfordert..! Und das nicht nur mit der Pflege. Der Umgang mit den Ämtern ist manchmal wie ein
Spießrutenlauf!
Wie schaffe ich den Schriftkram-oft verstehe ich die Amtssprache nicht. Wie beantrage ich einen Pflegegrad?Was hört man nicht alles von den Fallstricken und den Auseinandersetzungen mit den Ämtern !? Habe ich in meinem sozialen Umfeld Menschen meines Vertrauens? Wem offenbare ich, dass ich in der Falle von Hilfsbereitschaft und Hilflosigkeit stecke?

Was geschieht, wenn ich an meiner absoluten Belastungsgrenze bin?“Ich selbst erlebte meine Belastungsgrenze, als mein Mann in eine Psychose fiel. Ich verstand nicht, was da gerade ablief.
Ich hielt mich dem gewachsen und doch reagierte ich plötzlich so impulsiv, dass ich mit einer Hand meinen Geschirrschrank ausräumte und alles in Scherben sprang.
Zutiefst erschrak ich darüber, wozu ich mich hinreißen lasse, obwohl ich eine ruhig reagierende Frau bin.
Ich bekam nach diesem Erschrecken Angst vor mir selbst, weil ich erlebt habe, dass es in meinem Leben Situationen geben kann, in welchen sich der Kopf zu spät einschaltet.
Von dieser „Katastrophe“ erzählte ich dem Arzt meines Mannes und dass ich deshalb – aus Angst vor mir selbst – meinen Mann nicht zuhause pflegen werde. Der Arzt antwortete mir:“ Frau S, von solchen Angehörigen wünschte ich mir mehr“. Ein Satz von mir war damals:“ ich halte für möglich, dass ich eher im Gefängnis landen würde, als mein Mann im Grab.“ So groß war meine Angst vor mir selbst. Mein Mann war in Einrichtungen gut versorgt und mir war es ein Anliegen, mit den Mitarbeitenden auf Augenhöhe in ein gutes Miteinander zu kommen. Das gelang auch! Übrigens besuchte ich meinen Mann häufig und wir konnten in guten Gesprächen Vergangenheit bewältigen.
Als er starb nahmen wir im Frieden voneinander Abschied.
Viele Pflegende kommen nun einmal an ihre körperlichen und seelischen Grenzen.
Das ist menschlich und kein Grund, aus Scham keine Hilfe in Anspruch zu nehmen. Mein Anliegen wendet sich an Journalisten, die zwar über die Misere der Pflege ganz allgemein aus politischer u.finanzieller Sicht berichten – und dem Streit über Zuständigkeiten.

Auch von dem Mangel an Fachkräften in der Pflege, sowie deren kränkendem Image.
Die Journalisten bleiben jedoch meines Erachtens hilfreiche Anstöße schuldig gegenüber den Menschen, die eine wesentliche soziale Aufgabe an ihren Angehörigen erfüllen. Die Beweisführungen beziehen sich vorwiegend auf die, nur 30% der Menschen die der Pflege bedürfen und in Einrichtungen leben. Wo bleibt die Lobby für die anderen 70%
„Denn die einen sind im Dunkeln
und die andern sind im Licht und
man siehet die im Lichte
die im Dunkeln sieht man nicht“
Bertolt Brecht

Brunhilde Schütt Augsburg 20.06.2021